Welche Kriterien in der Melkanlageneinstellung werden in der täglichen Arbeit verwendet und wie werden Sie bewertet
Eckhard Schütte
Milk Rite, Avon Rubber, UK
E-Mail-Kontakt: eckhard.schuette@milkrite.com
Dezember 2014
Im Umgang mit der Einstellung von Melkanlagen für tierverträgliches Melken werden immer wieder Begriffe wie Blindmelken (Abnahmeschwellenwerte der Abnahmeautomatik) und Entlastungsphase der Pulseinstellung verwendet. Diese Begriffe sind häufig in der Anwendung wenig definiert und quantifiziert.
Natürlich ist es im Interesse aller Anwender eine schädigende Wirkung der Melktechnik zu vermeiden. Um das zu erreichen ist es notwendig sich mit den Einflussgrößen auch quantitativ auseinander zu setzen. Beim Betrachten der Problematik des tierverträglichen Melkens von Milchkühen und der Einstellung der Melkanlage sind natürlich die Druckverhältnisse direkt an der Zitze von größter Bedeutung.
Die häufig verwendeten Begriffe im Rahmen der Pulsator-Einstellung wie Massage und Entlassungsphase existieren in der technischen und auch physiologischen Terminologie nicht, da in der angesprochenen Phase der Pulsation (D Phase) weder massiert noch entlastet wird, sondern eine Druckapplikation an und auf die Zitze erfolgt (DIN-ISO 3918-5.12, 2007).
Umgangssprachlich werden diese Begriffe wie Massage und Entlassungsphase natürlich täglich verwendet, sie haben sich eingeprägt und alle Beteiligten wissen (hoffentlich) was gemeint ist. In der Problemanalyse und -beseitigung verstellen sie jedoch den Blick auf die tatsächlichen Einflussgrößen und möglichen Änderungsparameter.
Bei der konkreten Einstellung der Technik und Wirkung an der Milchkuh haben wir es mit multifaktoriellen Einflussgrößen zu tun:
1. Vakuumhöhe an der Zitze und die zeitliche Wirkung
2. Pulseinstellung, Pulsphasenlängen
3. Zitzengummieigenschaften, Einfaltdruckdifferenz (EFD)
4. Milchflussintensität
aus diesen Faktoren ergibt sich dann die Einflussgröße Drucksumme an der Zitze.
Dieser Begriff Drucksumme setzt sich zwar aus gemessenen Einzelwerten (siehe oben) zusammen, ist aber dann in der Summe ein errechneter Wert beziehungsweise ein Rechenmodell. In der Praxis konnten die Erkenntnisse aus dem Rechenmodell jedoch recht erfolgreich zum Beispiel in der Reduzierung von Hyperkeratosen angewandt werden. Eigene Versuche aus dem Jahr 2003 mit Veränderung in den oben aufgeführten Parametern zeigten bereits nach vier Wochen deutliche Veränderungen im Bereich der Hyperkeratosen.
Tabelle 1: Quelle: Fokje Baaker / Eckhard Schütte 15.6.2003
Entsprechende Veröffentlichungen hierzu sind auch von Dr. Martin Spohr (EGD-Baden-Württemberg) herausgegeben worden.
Differenzierte Betrachtungen zum Beispiel im Bereich der Pulseinstellung und Vakuumhöhe an der Zitze sind heute aufgrund der verfügbaren Sensor und Gerätetechnik durchaus möglich. Es gibt heute Messgeräte, die mit einer sehr hohen Auflösung und mehreren Messstellen gleichzeitig die erforderlichen Daten erheben können. Allerdings fehlt es in einigen auf dem Markt vorhandenen Geräten in den Auswertmöglichkeiten immer noch daran, die Vakuumhöhen getrennt nach Pulsphasen auszuwerten.
Die Auswertung eines Vakuumverlaufs über einen gesamten Pulszyklus oder über den gesamten Melkvorgang ist in der differenzierten Betrachtung wenig hilfreich.
In einschlägigen Regelwerken wie der DIN ISO 5707 (2010) ist unter Punkt 8.7 im folgenden Text der Hinweis auf differenzierte Angaben gegeben.
Auszug DIN-ISO 5707, 2010:
„8.7 Vakuum in der Melkeinheit
Im Benutzerhandbuch für die Melkeinheit muss Folgendes für festgelegte Milchflüsse … angegeben sein:
a) das gewünschte mittlere Vakuum an der Zitzenspitze und / oder das gewünschte mittlere Vakuum an der Zitzenspitze während Phase b und Phase d der Aufzeichnung des Vakuums im Pulsraum;
b) das entsprechende Nennvakuum in der Melkleitung; dieses Nennvakuum muss auf dem mittleren, nach 8.6 von ISO 6690:2007 gemessenen, Vakuumabfall beruhen.“
Hier einige Beispiele:
In Graphik 1 und 2 sind die Auswertung nach Pulsphasen dargestellt.
Grafik 1: Vakuum über einen Pulszyklus
Grafik 2: Vakuum in den einzelnen Phasen eines Pulszyklus
Wir sind heute in der Lage mit der im Feld vorhandenen Messtechnik unter Einbeziehung der Zitzengummi Eigenschaften wie EFD in Abhängigkeit zum Vakuumverlauf (der die Milchflussintensität einbezieht) das Öffnen und Schließen des Zitzengummis an der Zitze nachzuvollziehen.
Sicherlich haben wir es, wie oben erwähnt, mit Rechenmodellen zu tun und eine wünschenswerte Messtechnik, die die realen Drücke des Zitzengummi an der Zitze wiedergeben könnte würde Zweifel beseitigen. Ein Abgleich an entsprechenden Reaktion an der Milchkuh hat jedoch schon gezeigt, dass diese Rechenmodelle mehr als nur reine Theorie und Annahme sind und in der Praxis zu Erfolg versprechenden Resultaten geführt haben (siehe Tabelle 1).
Der Melkvorgang einer Kuh kann zwischen 4 – 12 Minuten liegen, je nach Melkbarkeit und Milchmenge. Während dieser Zeit wirkt die Melktechnik am Euter der Kuh. Dieser Zeitraum kann durch das so genannte Blindmelken verlängert werden. Blindmelken wird als Melken ohne Milchfluss (Vakuum am Euter ohne Milchfluss oder Milchfluss unter 0,2 kg/min) definiert. Dabei macht das Blindmelken zeitlich nur einen kleinen Teil des Melkvorgangs aus. Es ist ohne Frage wichtig das so genannte Blindmelken zu vermeiden.
Um nun das Melken verträglicher zu gestalten und das Blindmelken zu vermeiden wird häufig über Abnahmeschwellenwerte von 400 oder 600 ml Milchfluss gesprochen.
Ausgehend davon, dass die Sensortechnik, die die Melkzeugabnahme überwacht und schaltet, korrekt misst, ist die Diskussion über das Blindmelken angesichts der zeitlichen Einflussgrößen, „gesamter Melkvorgang“ zu „zeitiger Abnahme – Schwellenwert“ deutlich überbewertet. Den Schwellenwert von z. B. 200 ml auf 400 oder 600 ml zu erhöhen um die Melkzeit um 20 Sek. zu verkürzten ist fraglich. In den Graphiken 3 und 4 sind die Druckverläufe im Hauptmilchfluss und zum Ende des Melkens dargestellt.
Grafik 3: Vakuumverlauf in der Hauptmilchflussphase
Grafik 4: Vakuumverlauf am Melkende
Die Drucksumme über den gesamten Melkvorgang dieser Kuh beträgt 1632,98 kPa*sek. Die Drucksumme der letzten 20 Sekunden vor dem Abschalten beträgt 130,34 kPa*sek.
In Relation gesetzt beträgt die Drucksumme im Hauptmilchfluss je Pulszyklus 5,92 zu 6,51 kPa*sek in den letzten 20 Sekunden vor dem Abschalten.
Am Ende eines Melkvorgangs, bei nachlassendem Milchfluss, erhöht sich das Vakuum an der Zitze, wodurch die Drucksumme je Pulszyklus in diesem Beispiel auf 110 % steigt.
In diesem Beispiel ist durch die Veränderung des Parametes Pulsation (Länge der A und C Phase), unter Beibehaltung der übrigen Melkanlagenbedingungen eine Veränderung der Drucksumme von 6,035 kPa*sek (100 %) auf 3,840 kPa*sek (entspr. 64 %) je Pulszyklus in der Hauptmilchflussphase möglich (Grafik 5 und 6).
Grafik 5: Vakuumverlauf an der Zitze in der Ausgangssituation
Grafik 6: Vakuumverlauf an der Zitze mit veränderter Pulseinstellung
Die Folgen der Pulsationsveränderung in diesem Beispiel haben erheblich größere Auswirkungen auf die Drucksumme als es die Veränderung des Abnahmeschwellenwertes hätte (Grafik 7 und 8). Es gibt also Faktoren, die erheblich höheren Einfluss auf die Tierverträglichkeit des Melkvorgangs haben als das sogenannte Blindmelken.
Grafik 7: 3,83 kPa * sek – bei veränderter Pulseinstellung
Grafik 8: 6,03 kPa * sek – in der Ausgangssituation