Untersuchungen zur muttergebundenen Kälberhaltung am Thünen Institut in Trenthorst
Kerstin Barth, Thünen‐Institut für Ökologischen Landbau
Kontakt: kerstin.barth@ti.bund.de
Die unmittelbare Trennung der Kälber von ihren Müttern nach der Geburt ist heute Standard in der modernen Milchviehhaltung. Dies gilt auch für die ökologische Landwirtschaft, obwohl einige Bioverbände Zeiträume vorgeben, über welche die Kälber mindestens Kontakt zu ihren Müttern haben sollten. Viel mehr als 24 Stunden werden aber auch dabei nicht eingeräumt. Für das Betriebsmanagement hat die frühzeitige Unterbrechung des Kontakts gute Gründe: (i) die Kuh‐Kalb‐Beziehung wird nicht aufgebaut und muss deshalb zum Absetzen auch nicht mit Stress wieder gelöst werden, (ii) während der Kälberaufzucht lassen sich hygienische Bedingungen besser sichern und (iii) die Tierbeobachtung und –betreuung sowie die bedarfsgerechte Versorgung ist einfacher möglich.
Trotzdem liegen die Kälberverluste in der Milchviehhaltung auf relativ hohem Niveau und Milchviehbetriebe suchen nach Alternativen. In der Aufzucht der Kälber an ihren Müttern oder an Ammen sehen einzelne Betriebe einen möglichen Weg. Das Thünen‐Institut für Ökologischen Landbau hat sich dieser Thematik frühzeitig angenommen. Der neu errichtete Versuchsstall wurde deshalb konsequent für die gemeinsame Haltung von Kühen mit ihren Kälbern konzipiert:
- Der Kälberbereich ist mit einem Tränkautomaten (für die Kälber, die im Versuch als Kontrolltiere fungieren), einem Kraftfutterautomaten, einer Tränke, Heuraufen und einem Futtertisch für die Vorlage von Silage sowie einem eingestreuten Liegebereich ausgestattet.
- Mit seinem Auslauf grenzt der Kälberbereich an den Liegeboxenbereich des Kuhstalles an und erlaubt über Selektionstore den Wechsel zwischen beiden Bereichen für die Kälber, die Kontakt zu ihren Müttern haben dürfen (Abb. 1).
- Der Fressbereich der Kühe ist so abgeschirmt, dass Kälber ihn nicht betreten können und damit die Gefahr, dass Kälber sich im Fressgitter der Kühe einklemmen, unterbunden ist.
- Die Liegeboxen der Kühe verfügen über einen ausgedehnten Kopfraum, der den Kälbern (und auch den Kühen) den Ausstieg nach vorn ermöglicht (Abb. 2).
Seit 2006 sind in Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen, insbesondere der ETH Zürich (Schweiz) und der Veterinärmedizinischen Universität Wien (Österreich) wiederholt Untersuchungen zur muttergebundenen Aufzucht durchgeführt worden. Neben den Auswirkungen auf die Kälberentwicklung und ‐gesundheit, das Tierverhalten und die Stressreaktivität, stand auch immer die Melkbarkeit der kalbführenden Kühe im Mittelpunkt der Erhebungen. Die Störung der Milchejektion beim maschinellen Melken ist abgesehen von der reduzierten Menge an lieferbarer Milch (die Kälber nehmen deutlich mehr Milch auf als ihnen im Rahmen der üblichen Aufzuchtregimes zugestanden wird), dem Stress beim Absetzen und den baulichen Erfordernissen einer der wichtigsten Gründe, dass das Verfahren bisher kaum Eingang in die Praxis gefunden hat. In zwei getrennten Experimenten (gemeinsam durchgeführt mit der CAU Kiel bzw. der Universität Kassel) wurde getestet, ob andere Stimuli die Melkbarkeit der Kühe verbessern. Doch weder Tücher, mit denen zuvor die eigenen Kälber abgerieben wurden, noch Haare des eigenen Kalbes, Kälberrufe oder eine intensive Handstimulation erbrachten den gewünschten Effekt.
Besonders interessant sind natürlich die langfristigen Auswirkungen, die diese Aufzucht auf die Tiere hat. Inzwischen ist schon die zweite „Versuchsgeneration“ in die Milchviehherde integriert worden. Auch diese Phase wird durch Untersuchungen begleitet. Während der Eingliederung in die Herde zeigten die tragenden Färsen, die im ersten Versuch muttergebunden aufgezogen wurden, signifikant häufiger Unterlegenheitsgesten als die am Tränkautomaten aufgezogenen Tiere. Ob sich diese und andere Beobachtungen bei der Versuchswiederholung bestätigen, wird derzeit in einem von der BLE geförderten Projekt (BÖLN FöKz 2811OE072) analysiert.
Übrigens wurde die von Frau Regula Schneider an der ETH Zürich angefertigte Diplomarbeit zum „Einfluss muttergebundener Kälberaufzucht auf Milchleistung und Sozialverhalten von Kühen“ 2008 mit dem WGM‐Förderpreis ausgezeichnet.