Ulrike Heyde (Dipl. Ing.-agr. (FH))
HTW Dresden, Fakultät Landbau/Landespflege
E-Mail-Kontakt: heyde@htw-dresden.de
September 2014
Der Komplex der Gliedmaßen- und Klauenerkrankungen zählt mittlerweile zu einer der häufigsten Abgangsursachen in den Milchproduktionsbetrieben. Zudem existiert derzeitig keine Frühdiagnostik, um Erkrankungen an den Klauen zu erkennen. Aktuell wird das Ziel der Früherkennung von Klauenerkrankungen in einem Forschungsprojekt an der HTW Dresden Fakultät Landbau/Landespflege untersucht.
Klauenerkrankungen bleiben meist lange Zeit unerkannt
Die gesunde Klaue gilt als Voraussetzung für einen gesunden Allgemeinzustand des Tieres. So ist die Milchkuh unter den vorherrschenden Bedingungen der Laufstallhaltung auf einen funktionierenden Bewegungsapparat angewiesen. Anatomisch betrachtet ist die Milchkuh ein Zehengänger. Bei einer Lebendmasse von 600 kg würde jede Klaue ca. 70 bis 90 kg Körpergewicht tragen (unter Berücksichtigung unterschiedlicher Gewichtsverteilung zwischen Vorder- und Hintergliedmaßen). Die Gesunderhaltung des Fundaments ist daher von großer Bedeutung.
Liegen Schädigungen an der Klaue mit bereits fortgeschrittenen und schmerzhaften Prozessen vor, würde das Tier versuchen, die krankhafte Stelle zu entlasten. Entsprechend zeigt sich im Gangbild der Kuh eine Lahmheit. Zur Kontrolle der Klauengesundheit stehen dem Tierhalter nur wenige Methoden zur Verfügung, welche ausschließlich auf einer beginnenden oder bereits etablierten Lahmheit beruhen. Die bislang gebräuchlichste Methode ist die visuelle Lahmheitsbeurteilung (Locomotion Score), welche auf verschiedene Merkmale (z. B. Krümmung des Rückens im Stehen und Gehen, Kopfbewegung beim Gehen, Schrittlänge, Belastung der Gliedmaßen und Symmetrie der Schritte) anhand der Gangbildanalyse basiert. Bei heutigen Tierbestandsgrößen erfordert diese Methode jedoch einen hohen Arbeitsaufwand. Zudem ist die visuelle Lahmheitsbeurteilung durch den Tierhalter von einer subjektiven Einschätzung belastet. Automatische und objektive Messmethoden sind daher für Forschung und Anwendung von großem Interesse.
Bisher bekannte automatisierte Verfahren der Lahmheitserfassung sind StepmetrixTM (BouMatic) und die auf automatisierten Videoauswertungen basierenden Systeme von Leroy et al. (2008) und Song et al. (2008) (Abb. 1 und Abb. 2). Weitere technische Verfahren zur Lahmheitserkennung stellen die Messung der Bewegungsaktivität und des Liegeverhaltens mithilfe des ALT-Pedometers (Alsaaod et al., 2012a) sowie die Messung der Bewegung mittels Accelerometer (Kofler et al., 2011; Mangweth et al., 2012; Pastell et al., 2009) dar.
StepmetrixTM ist dabei das einzige Verfahren, welches derzeit in der Praxis Anwendung findet. Jedoch sind Angaben über die Aussagesicherheit für das System “Stepmetrix” bezüglich tatsächlich vorliegender Klauenerkrankungen in der Literatur widersprüchlich (Bicalho et al., 2007; Boumatic, 2013; Weber, 2013). Der entscheidende Nachteil der technisch automatisierten Verfahren als auch der visuellen Lahmheitsbeurteilung ist, dass Erkrankungen erst im bereits fortgeschrittenen Stadium erkannt werden, d. h. wenn das Tier Schmerzen hat und deshalb lahmt.
Neuer Forschungsansatz zur Früherkennung von Klauenerkrankungen
Aufbauend auf bisherigen Untersuchungen zur Früherkennung von Klauenerkrankungen mittels Infrarotthermografie (Nikkah et al., 2005; Gschröderer et al., 2006; Alsaaod et al., 2012b; Passarge, 2013) sowie auf dem Markt verfügbarer technischer Lösungen zur Gesundheitsüberwachung des Einzeltieres werden im Rahmen eines Forschungsprojektes an der HTW Dresden, Fakultät Landbau/Landespflege, weiterführende Untersuchungen durchgeführt. Ziel ist es, Erkrankungen an der Rinderklaue in einem frühen Stadium zu identifizieren, möglichst vor der Etablierung einer Lahmheit. Dabei sollen technische Verfahren wie die Anwendung der Infrarotthermografie und die Nutzung tierindividueller technischer Daten des Herdenmanagements (Milchleistung, Aktivität, etc.) helfen. Durch Verknüpfung der in den einzelnen Technologien ermittelten Daten sollen Hinweise auf Klauenerkrankungen mit hoher diagnostischer Eignung gefunden werden. Dazu sind Befunde zur Klauengesundheit zu erheben und mit den Ergebnissen der technischen Systeme zu vergleichen. Am Ende soll dem Tierhalter ein Hilfsmittel zur frühzeitigen Identifizierung von Klauenerkrankungen in Form eines Vorhersagemodells zur Verfügung stehen. Bei einer Früherkennung können die meisten Klauenerkrankungen mit geringem Aufwand (Klauenschnitt, Klauenpflege) und ohne medikamentöse Intervention therapiert werden. Mit den vorgesehenen Forschungsaspekten ist ein Beitrag zur Verbesserung der Tiergesundheit und damit des Tierschutzes zu erwarten.
Das Verfahren der Infrarotthermografie ermöglicht eine berührungslose Temperaturmessung der Hautoberfläche und den dicht darunterliegenden Blutgefäßen bzw. Gewebeschichten. Ausgehend von einem nachweislichen Temperaturanstieg bei krankhaften Organen, deren Temperaturveränderung mithilfe der Infrarotthermografie ermittelt werden kann, kommt diesem Verfahren zur Krankheitsfrüherkennung eine große Bedeutung zu.
Im aktuellen Forschungsprojekt erfolgt die Installation der Infrarotkamera zur Überwachung der Klauengesundheit im Melkzentrum (Melkkarussell, Typ Außenmelker). Die Infrarotkamera ist dabei so positioniert, dass die Kühe auf dem Melkkarussell in einem konstanten Abstand zur Infrarotkamera an jener vorbeifahren und die Aufnahme der Klauen der Hintergliedmaßen ermöglicht wird (Abb. 3).
Zur Beachtung möglicher Umwelteinflüsse (Umgebungstemperatur, Windgeschwindigkeit, Luftfeuchtigkeit) auf die Infrarotthermografie sind in Nähe der Infrarotkamera Klimamessgeräte integriert. Eine parallel zur Infrarotaufnahme vorgenommene Bonitur der Klauen ermöglicht zusätzlich die Beurteilung des Verschmutzungs- und Feuchtezustands der Klauen.
Mithilfe einer speziellen Software erfolgt die Erstellung verschiedener Temperaturwerte (mittlere Infrarottemperatur, maximale Infrarottemperatur, etc.) von interessanten Regionen an den Klauen der Hintergliedmaßen (Abb. 4).
Im Folgenden sind die erhobenen Klauenbefunde mit den Ergebnissen der technischen Systeme (Infrarottemperaturwerte, Milchleistungsdaten, Aktivitätsdaten, etc.) zu vergleichen und Algorithmen zu entwickeln, die hohe Sensitivitäten und Spezifitäten für das Auffinden von Klauenerkrankungen aufweisen.
Im Endergebnis soll ein Vorhersagemodell zur Früherkennung von Klauenerkrankungen entstehen, welches auf die mathematisch-statistische Verknüpfung der Infrarottemperaturen mit anderen Daten aus dem Herdenmanagementsystem basiert (Abb. 5).
Hierbei fließen alle Informationen der technischen Systeme zusammen und erzeugen eine sogenannte „Alarmliste“. Dem Tierhalter würde zukünftig ein Instrument bereitstehen, welches anhand des Vorhersagemodells auffällige Tiere hinsichtlich ihrer Klauengesundheit ausweist. Diese Tiere können einer zeitnahen klinischen Kontrolle unterzogen werden, sodass frühzeitig auf beginnende Klauenerkrankungen reagiert werden kann.
Für die praktische Anwendung der Infrarotthermografie in landwirtschaftlichen Betrieben mit unterschiedlichen Produktionstechniken gilt es weiterhin nach alternativen Messarealen an den Klauen zu suchen. Somit kann die Anwendung der Infrarotthermografie auf andere Stallsysteme übertragen werden und unabhängig vom Haltungs- und Melksystem arbeiten. Weiterhin ist eine Ausweitung der Infrarotmessung auf die Klauen aller vier Gliedmaßen sowie am laufenden Tier denkbar. Für diese Entwicklung sind hohe Anforderungen an die technische Umsetzung zu stellen. Neben dem konventionellen Melkstandbereich als Installationsort der Infrarotkamera kann z. B. auch der Klauenpflegestand oder das automatische Melksystem für die Messung verschiedener Klauenregionen dienen.
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2014_Sep_Heyde_Klauengesundheit
Quellen
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Bicalho, R.C./ Cheong, S.H. / Cramer, G./ Guard, C.L. (2007): Association between a visual and an automated locomotion score in lactating holstein cows. In: Journal of Dairy Science, Volume 90, Issue 7, 3294-3300
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Kofler, J./ Mangweth, G./ Altenhofer, C./ Weber, A./ Gasser, C./ Schramel, J.P./ Tichy, A./ Peham, P. (2011): Messung der Bewegung lahmheitsfreier Kühe mittels Accelerometer im Schritt und Vergleich der Beschleunigungswerte nach Kleben eines Klotzes. In: Wiener Tierärztliche Monatsschrift – Veterinary Medicine Austria, 99, 3-12
Leroy, T./ Bahr, C./ Song, X./ Vranken, E./ Maertens, W./ Vangeyte, J./ Van Nuffel, A./ Sonck, B./ Berckmans, D. (2008): Automatic detection of lameness in dairy cattle – Image features related to lameness. Proc. Measuring Behavior. Maastricht, The Netherlands, 26. – 29. August 2008 (https://lirias.kuleuven.be/bitstream/123456789/218799/1/Lameness_Conference_Kuopio, 27.01.2014)
Mangweth, G./ Schramel, J.P./ Peham, C./ Gasser, C./ Tichy, A./ Altenhofer, C./ Weber, A./ Kofler, J. (2012): Lahmheitserkennung bei Kühen durch Messung der Bewegung im Schritt mittels Accelerometer. In: Berliner und Münchner Tierärztliche Wochenschrift 125, Heft 9/10, 386-396
Nikkah, A. / Plaizier, J.C./ Einarson, M.S./ Berry, R.J./ Scott, S.L. / Kennedy, A.D. (2005): Short communication: infrared thermography and visual examination of hooves of dairy cows in two stages of lactation. In: Journal of Dairy Science, Volume 88, Issue 8, 2749-2753
Passarge, U. (2013): Gesundheitsmonitoring in Milchviehbetrieben mit Hilfe von Infrarot-Thermographie. Dissertation, Landwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin
Pastell, M./ Tiusanen, J./ Hakojärvi, M./ Hänninen, L. (2009): A wireless accelerometer system with wavelet analysis for assessing lameness in cattle. In: Biosystems Engineering, Volume 104, Issue 4, 545-551
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Weber, A. (2013): Genetic Evaluation of Indicator Traits for claw and leg diseases and estimation of backfat thickness using new traits from an automatic 3D optical system. Dissertation, Agrar- und Ernährungswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel