Kühe ohne Langzeitantibiotika trocken stellen – ist das gefahrlos möglich?

Dr. Martin Spohr
Eutergesundheitsdienst der TSK Baden-Württemberg
egdstuttgart@tsk-bw-tgd.de
April 2014

Antibiotika zur Bekämpfung bakterieller Infektionen sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Die Anwendung von Antibiotika führt aber zwangsläufig dazu, dass sich Bakterien, die gegen diese Mittel resistent sind, immer weiter ausbreiten. Die Zunahme resistenter Bakterien in Krankenhäusern hat die Diskussion über den verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika auch auf die Landwirtschaft ausgeweitet. In letzter Zeit wird zunehmend über den Verzicht von Langzeitantibiotika zum Trockenstellen von Milchkühen diskutiert. Der unkritische Verzicht auf Antibiotika kann aber die Eutergesundheit trocken gestellter Kühe deutlich verschlechtern. Daher müssen die Bedingungen geklärt sein, unter denen ein gefahrloser Verzicht auf Antibiotika praktiziert werden kann.

Genaue Zahlen über den Antibiotikaverbrauch in deutschen Milchviehbetrieben liegen zurzeit noch nicht vor. Holländische Untersuchungen gehen davon aus, dass Milchkühe durchschnittlich 4,2 Tage pro Jahr antibiotisch behandelt werden. Ein Drittel der Behandlungen entfallen auf die Therapie sichtbarer Euterentzündungen, zwei Drittel auf die sog. Trockenstelltherapie. Das Trockenstellen von Kühen unter dem Schutz von Langzeitantibiotika hat seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts zu einer deutlichen Verbesserung der Eutergesundheit und Milchqualität beigetragen. Durch die Verabreichung eines Langzeit-Antibiotikums wird eine therapeutisch wirksame Konzentration im Euter über einen Zeitraum von zwei bis vier Wochen erreicht (Therapie vorhandener Mastitiden). Dies führt zu deutlich besseren Heilungsraten und, da keine Hemmstoffmilch anfällt, auch zu deutlich geringeren Therapiekosten. Gleichzeitig verhindert die Antibiotikakonzentration, dass Bakterien, die während der ersten Hälfte der Trockenstehzeit in gesunde Euter eindringen, sich ansiedeln und eine Entzündung verursachen (Schutz vor Neuinfektionen). Die Anwendung von Antibiotika bei gesunden Kühen stößt zunehmend auf Kritik. Biobetrieben ist es seit einiger Zeit nicht mehr erlaubt ohne vorherigen Erregernachweis Antibiotika in der Trockenstehphase einzusetzen, Lieferverträgen einiger europäischer Molkereien sehen diese Einschränkung für konventionelle Milchviehbetriebe ebenfalls vor. Die Begründung hierfür findet sich in den Antibiotika-Leitlinien der Tierärztekammer: „Antibiotika sind nicht dazu geeignet, … schlechte Haltungsbedingungen, Managementfehler oder mangelhafte Hygienestandards zu kompensieren.“ Während es zur Therapie erkrankter Euterviertel mit Antibiotika wenig Alternativen gibt, existieren diese für den Schutz vor Neuinfektionen. Seit mehreren Jahren gibt es sog. interne Zitzenversiegler, die, in die Zitzenzisterne verabreicht, das Eindringen von Bakterien ebenso stark einschränken wie Antibiotika. Da die Zitzenversiegler über die ganze Trockenstehphase das Euter abschließen, stellen die Zitzenversiegler eine wirkungsvolle und Hemmstoff-freie Alternative zu Langzeitantibiotika bei gesunden Eutervierteln dar.

In einem Feldversuch des Eutergesundheitsdienstes Baden-Württemberg mit 13 Milchviehbetrieben wurde die Möglichkeit getestet, Langzeitantibiotika durch interne Zitzenversiegler zu ersetzten. Dabei sollte geklärt werden, ob der Landwirt mit ausreichender Sicherheit erkennen kann, welche Kuh eine nicht sichtbare Euterentzündung hat und ein Antibiotikum zum Trockenstellen benötigt. Zum anderen sollte geprüft werden, wie sich die Eutergesundheit unter den beiden Trockenstell-Medikamenten entwickelt.
Die Mastitiserkennung bei altmelkenden Kühen ist erschwert, weil durch den Milchleistungsrückgang häufig erhöhte Zellgehalte festzustellen sind, die keine entzündliche Reaktion auf vorhandene Mastitiserreger darstellen. So haben Kühe mit einer Tagesleistung von weniger als 10 l in der letzten Kontrolle vor dem Trockenstellen doppelt so hohe Zellgehalte wie vergleichbare Kühe mit einer Tagesleistung von über 20 l. Viele altmelkende, niederleistende Kühe würden daher fälschlicherweise als euterkrank eingestuft werden. Andererseits ist eine niedrige MLP-Zellzahl keine Garantie für ein gesundes Euter, da die erhöhte Zellzahl eines erkrankten Viertels durch die niedrige Zellzahl der drei Nachbarviertel verdünnt wird. Bei Kühen mit einer Gemelkszellzahl von weniger als 150.000/ml konnten immer noch in 8,6 % der Viertel Mastitiden festgestellt werden, die einen antibiotischen Trockensteller erfordert hätten.
Als einfacher Stalltest zur Erkennung von Entzündungen im Euter ist der California-Mastitis-Test (CMT) oder Schalm-Test entwickelt worden. Die am Versuch teilnehmenden Landwirte wurden gebeten, von den trocken zu stellenden Kühen eine Viertelgemelksprobe zu ziehen und den CMT durchzuführen. Die Übereinstimmung zwischen den im Labor gemessenen Zellgehalten in der Milchprobe und den CMT-Ergebnissen der Landwirte war mäßig. Zwar wurde der CMT bereits bei einem Zellgehalt von durchschnittlich 190.000/ml positiv, die Ergebnisse schwankten jedoch sehr zwischen den einzelnen Untersuchern (Abb. 1).

Abb. 1: Relative Häufigkeit von CMT-Befunden bei gegebener Zellzahl

 Bei Nachuntersuchungen stellte sich heraus, dass die Unterschiede nicht auf die verwendeten Testflüssigkeiten oder Testschalen zurückzuführen waren. Häufig wurde zu viel Milch und zu wenig Testflüssigkeit gemischt, so dass der Test oft negativ ausfiel. Im anderen Fall wurde nicht abgewartet bis die Milch eingeschossen war und es wurde das zellreiche Vorgemelk für den CMT verwendet. In solchen Fällen reagierte der Test häufig fälschlicherweise positiv, er zeigte Entzündungen an, die gar nicht vorhanden waren. Ein zusätzliches Kriterium bei der Ablesung der CMT-Ergebnisse ist die Gleichmäßigkeit der Testergebnisse der vier Euterviertel. Reagiert ein Viertel um eine Einheit stärker als die übrigen Viertel des Euters verdoppelt sich die Häufigkeit von Mastitiden in solchen Vierteln. Ist die Reaktion um zwei oder drei Stufen stärker, vervierfacht sich die Nachweisrate von Mastitiden sogar. Wenn die Landwirte angaben, dass in der zurückliegenden Laktation eine Mastitis auf einem Viertel festgestellt wurde, erhöhte dies die Nachweisrate von Mastitiden um das Dreifache. Die Zahl der von den Landwirten angegebenen sichtbaren Euterentzündungen bei den trocken zu stellenden Kühen war ausgesprochen gering und liegt deutlich unter den Mastitishäufigkeiten durchschnittlicher Betriebe. Es ist daher anzunehmen, dass die Landwirte viele Mastitisfälle bereits vergessen hatten.

Bei der Auswertung der Untersuchungen vor dem Trockenstellen und der dazugehörigen Viertelanfangs-Gemelksproben zeigte sich, dass Kühe ohne sichtbare Mastitis in der zurückliegenden Laktation, mit einer MLP-Zellzahl in der letzten Kontrolle vor dem Trockenstellen von unter 150.000/ml und einem auf allen Vierteln gleichen CMT (Vierteldifferenz gleich null) mit mehr als 95%iger Sicherheit eutergesund waren. Diese Kühe können ohne Langzeitantibiotikum trocken gestellt werden.

Wie entwickelte sich die Eutergesundheit unter den verschiedenen Trockenstellmedikamenten? Um diese Frage zu klären, wurden von den beteiligten Landwirten Milchproben nach Abschluss der Biestmilchphase gezogen, im Labor untersucht und mit den Laborergebnissen vor dem Trockenstellen verglichen. Euterviertel, die vor dem Trockenstellen gesund waren und ein Langzeitantibiotikum bekamen, hatten nach der Abkalbung in 10 % der Viertel eine Neuinfektion. Bei Eutervierteln, die einen internen Zitzenversiegler bekamen lag dieser Wert nur bei 6,4 %, Euterviertel die Langzeitantibiotikum und internen Zitzenversiegler in Kombination erhielten erkrankten nur in 3,1 %. Ähnlich sah es aus bei Eutervierteln, die zwar vor dem Trockenstellen einen erhöhten Zellgehalt aufwiesen aber keinen Erregernachweis hatten (Sekretionsstörung). In diesen Fällen führte das Trockenstellen mit Langzeitantibiotika in 16 % der Euterviertel zu einer Neuinfektion, bei Verabreichung eines internen Zitzenversieglers lag dieser Wert nur bei 4,1 %. Euterviertel ohne bakteriologischen Befund vor dem Trockenstellen hatten also bei Verabreichung eines internen Zitzenversieglers nach der Abkalbung deutlich weniger Neuinfektionen als bei Verwendung eines antibiotischen Trockenstellers. Bei Eutervierteln, die vor dem Trockenstellen zwar niedrige Zellzahlen hatten, in deren Milchproben aber Mastitiserreger nachweisbar waren („Strichkanalbesiedlungen“), führte das Trockenstellen mit internen Zitzenversieglern zu höheren Neuinfektionsraten als bei Antibiotikagabe. Dieser Effekt war jedoch nur in zwei der dreizehn Betriebe zu beobachten: Betriebe, die auch insgesamt die höchste Neuinfektionsrate in der Trockenstehphase hatten (Tab. 1).

Tab. 1: Neuerkrankungsrate in der Trockenstehphase (%) in Abhängigkeit vom Behandlungsverfahren

AB = Antibiotikum; ZV = interner Zitzenversiegler; ABZV = Antibiotikum und interner Zitzenversiegler kombiniert
Neuerkrankungsrate einer Tabellenzeile mit untersch. Hochzeichen sind signifikant verschieden (p < 0,05)

Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus diesen Ergebnissen ziehen? Betriebsleiter, die in punkto Trockenstellen auf Nummer sicher gehen und wenig Zeit in die Eutergesundheitsdiagnostik investieren wollen, sollten generell alle Kühe mit einer Kombination von Langzeitantibiotikum und internem Zitzenversiegler trocken stellen. Dieses Verfahren verursacht zwar den höchsten Medikamentenaufwand, ist aber leicht zu praktizieren und bietet neben guten therapeutischen Resultaten auch einen guten Schutz vor Neuinfektionen. Diese Verfahrensweise ist zurzeit für konventionelle Betriebe noch möglich, aber auf absehbare Zeit werden Milchlieferverträge und / oder gesetzliche Vorgaben dem einen Riegel vorschieben.

Betriebe, die jetzt schon versuchen wollen, den Antibiotikaeinsatz in der Trockenstehphase zu reduzieren, sollten zunächst bei der Untersuchung vor dem Trockenstellen sehr hohe Maßstäbe ansetzen: beispielsweise können zunächst alle Kühe mit Gemelkszellzahlen in der letzten MLP-Kontrolle unter 100.000/ml und absolut unauffälligem CMT-Ergebnis ohne Langzeitantibiotikum aber mit internem Zitzenversiegler trocken gestellt werden. Wenn sich daraufhin über die Trockenstehphase hinweg keine Probleme einstellen, kann der MLP-Zellzahl-Grenzwert auf 150.000/ml erhöht und ein gleichmäßig schwach positives CMT-Ergebnis toleriert werden. In jedem Fall ist eine erhöhte Aufmerksamkeit auf die Eutergesundheit über die Trockenstehphase hinweg zu richten. Gegebenenfalls sollten zur Absicherung der eigenen Diagnose Milchproben zur zyto-bakteriologischen Untersuchung eingeschickt werden. Mit diesem Verfahren ließ sich in den Versuchsbetrieben der Verbrauch antibiotischer Trockensteller halbieren. Dieses Einsparpotential ist jedoch nur mit einer erhöhten Aufmerksamkeit für das Trockenstellmanagement zu erzielen.

M. Spohr, April 2014

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